Medienfrauen vereinigt euch!

Der Frauenstreik/feministische Streik 2019 hat die Medienbranche aufgerüttelt. Bereits im Vorfeld des 14. Juni 2019 trafen sich Journalistinnen aus verschiedenen Redaktionen, um über ihre Arbeit, Sexismus und Führungskultur zu diskutieren. Über den Account «Medienfrauenstreik» teilten Frauen wie Männer unter dem Hashtag «no women no news» ihre Forderungen für mehr Gleichstellung in der Medienbranche. Nachgedoppelt wurde 2020 mit dem Slogan «more women more news».

Gleich mehrere Medienhäuser lancierten mit oder nach dem Streik Gleichstellungsinitiativen (z.B  Equal Voice, Ringier , Chance 50:50, SRF oder Diversity Boards SRF, Ringier). Bei Tamedia werden Stellen konsequenter ausgeschrieben, andernorts übernahmen Frauen Positionen in den Teppichetagen und an den Schalthebeln publizistischer Macht (Tamedia, Beobachter, Republik, Watson).

In den vier Jahren seit dem Medienfrauenstreik 2019 trugen sich auch einige gesellschaftliche Grossereignisse zu, welche Frauen und ihre Anliegen verstärkt in den Fokus rückten, etwa die eidgenössischen Wahlen 2019, das Jubiläum zu 50 Jahre Frauenstimmrecht 2021 und eine generelle Debatte über Gleichstellungsthemen und feministische Anliegen, in deren Verlauf zum Beispiel einige Tamedia-Titel anfingen, von Femiziden, statt von «Morden aus Eifersucht» zu sprechen.

Doch trotz allem Fortschritt: Es bleibt noch sehr viel zu tun.

Der Fall Finn Canonica und der zweifelhafte Umgang damit, aber auch die Belästigungsvorwürfe bei RTS und SRF und in anderen Medien, wie auch der öffentliche Brief von 78 Tamedia-Redaktorinnen 2021 zeigen exemplarisch auf, wie verbreitet Belästigung, Sexismus, Machokultur und Mobbing in der Medienbranche bis heute sind.

Grossereignisse wie die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder jüngst die CS-UBS-Fusion verdeutlichen, wie selten Frauen medial als Expertinnen oder Fachpersonen zu relevanten Themen aus Politik und Wirtschaft befragt werden und wie wenig Gewicht und Platz ihre Stimmen in vielen Medientiteln haben, sobald ein Thema als «analytisch» oder «komplex» gilt.

Auch die Zahlen sprechen für sich: Noch immer verdienen Medienfrauen in der Schweiz weniger als ihre Kollegen, noch immer sitzen primär Männer in den «harten» Ressorts von Wirtschaft und Politik, noch immer verlassen überproportional viele Frauen die Branche aufgrund eines toxischen Klimas und einer schlechten Führungskultur, noch immer gilt der Beruf Medienmacherin für viele als unvereinbar mit dem Familienwunsch.

Mehr Frauen in den Führungsetagen reichen nicht aus, wenn kein nachhaltiger, feministischer Kulturwandel stattfindet.

Mehr Lohn für einzelne ist kein nennenswerter Fortschritt, wenn andere in demselben Unternehmen weiterhin schlechter bezahlt werden. .

Mehr Frauen in der Medienberichterstattung bleibt eine Alibiübung, solange diese Frauen nicht den Raum, die Plattform und die Zeilenzahl kriegen, sich zu gesellschaftlich relevanten Themen zu äussern, die Themensetzung aktiv mit zu beeinflussen und ihrer Expertise ohne Widerrede und Abwertung mit Wertschätzung begegnet wird.

Unsere Slogans NO WOMEN NO NEWS und MORE WOMEN MORE NEWS sind 2023 genauso aktuell, wie sie es 2019 und 2020 waren. Aktuell geblieben sind auch viele unserer Forderungen, deren Umsetzung wir in den vergangenen Jahren genau beobachtet haben und die wir seither laufend ergänzt und präzisiert haben.

Deshalb fordern wir Medienfrauen vor dem Hintergrund des Frauenstreiks /feministischen Streiks 2023:

Schutz vor Belästigung

Wir fordern einen besseren Schutz vor Belästigung, Mobbing und übergriffigem Verhalten. Denn der Arbeitgeber steht uns gegenüber juristisch in der Verantwortung.

Wir fordern ein Ende von Rassismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit und Altersdiskriminierung und dass die dummen, «nicht so gemeinten» Sprüche, unpassenden Witze und herablassenden Kommentare ein für alle Mal aufhören. Wir fordern vordefinierte interne Prozesse bei Belästigungs- oder Übergriffsfällen, bei Interviews oder während Reportagen, und wir fordern, dass die Chefredaktionen unser Wohlergehen und unsere Sicherheit höher gewichten als die nächste grosse Story.

Die letzten Jahre haben uns gezeigt: Interne Beschwerdestellen allein reichen dafür nicht aus. Es braucht geschulte Fachpersonen, geregelte Leitplanken, eingeübte Prozesse und verpflichtende Kurse und Weiterbildungen für alle Beschäftigten. Und wir fordern eine lückenlose Aufarbeitung von Vorfällen und konkrete Konsequenzen für Tatpersonen.

Lohngleichheit

Die Lohngleichheit ist noch nicht erreicht. Und die Bestrebungen dazu sollten nicht auf Frauen abgewälzt werden mit Bemerkungen wie «Du musst besser verhandeln». Frauen sollten nicht in die Situation gebracht werden, ihre Löhne nachverhandeln zu müssen, weil sie per Zufall erfahren, dass der Kollege mit weniger Arbeitserfahrung gleich viel oder mehr verdient. Auch das gehört zu einer gesunden Unternehmenskultur.

Wir fordern kollektiv geregelte und faire Mindestlöhne in Form eines GAV auf allen Einstellungsstufen vom Praktikum bis zur Festanstellung und ein Ende einer Stage- und Volontariatskultur, die vermeintliche Arbeitserfahrungen mit einer fairen Entlöhnung gleichsetzt. Wir fordern auch verbindliche Honoraransätze und eine klare monetäre Wertschätzung für Freischaffende sowie ein Ende der Dumpingkultur, die dazu geführt hat, dass man als reine Freelancer:in gar nicht mehr überleben kann. Die Löhne und Honorare von heute sind massgebend für die Rentenhöhe und die Einkommenssituation der Frauen von morgen.

Vereinbarkeit Beruf, Familie & Mental Health

Dass die Medienbranche unter finanziellem Druck leidet, ist allen Beteiligten klar. Trotzdem müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, gerade für junge Berufseinsteiger:innen und spezifisch auch für Frauen. Der häufigste Ausstiegsgrund aus dem Journalismus ist eine schlechte Work-Life-Balance, wobei diese bei Frauen, die nebst der Lohnarbeit meist auch die Pflege- und Sorgearbeit leisten, besonders schlecht ist.

Es darf nicht sein, dass bereits junge Journalistinnen von der Arbeit krank werden und aufgrund fehlender flexibler Lösungen wie Teilzeitarbeit die Branche verlassen. Redaktionen müssen über Mental Health sprechen, über den Leistungsdruck, über Erwartungen, über Unsicherheiten.

Wir fordern eine Unternehmenskultur, in der Menschen vor den Profit gestellt werden und sich niemand zwischen Arbeit und Familie entscheiden muss, in der niemand Hunderte unbezahlter Überstunden leisten muss, weil sich das «eben so gehört», und dabei die eigenen Bedürfnisse hinten anstehen.

Publizistische Macht: Frauen in Führungspositionen

Lediglich mehr Frauen anzustellen, reicht nicht. Jene, die angestellt werden, müssen effektive Entscheidungsmacht haben – in Sitzungen, bei der Themensetzung, bei der Umsetzung der Artikel und Beiträge. Dabei gilt zu bedenken: Auch Frauen können Teil von toxischen Strukturen sein und sich auch selbst toxisch verhalten. Unter anderem, weil sie sich männlichen Führungsgremien anpassen. Oder, weil sie von sich aus einen sozial unverträglichen Führungsstil pflegen.

Es braucht deswegen eine Führungskultur, in der Frauen nicht nur in gleichem Masse Entscheidungen treffen können wie ihre Kollegen, sondern in der ein solidarisches Klima herrscht und sich niemand beweisen muss. Und es braucht ein Recruitment, das gerade bei der Besetzung von Topstellen menschliche Werte und Führungsqualitäten höher bewertet als gute Kontakte innerhalb der Branche.

Kein Sexismus, kein Rassismus und mehr Diversität in der Berichterstattung

Sprache und Bilder, aber auch die Auswahl von Expert:innen und Protagonist:innen können Sexismus und andere Formen der Diskriminierung transportieren und reproduzieren. Medien tragen dahingehend eine grosse Verantwortung. Sie prägen die öffentliche Meinung und beeinflussen, wie bestimmte Personengruppen wahrgenommen werden. Frauen sind nicht einfach schlanke, weisse Personen mit langen blonden Haaren – wie man sie oft in den Medien sieht. Frauen sind divers; jung, alt, queer, of color, trans. Und das sollte in der Berichterstattung zu sehen sein. Wir fordern eine Abbildung dieser Diversität, die über symbolische Anstrengungen hinausgeht, und wir fordern diese Abbildung sowohl im Bild als auch in der Sprache vor und hinter der Kamera, im Radio, im Print und online.

Und das generische Maskulinum muss endlich weg.